Gekommen um zu bleiben: Immersive Kommunikation
Konsumierst Du noch oder partizipierst Du schon?
Neue Ansätze für die Verbandskommunikation
Autorin: Silke Weerts, Director Association Solutions, MCI Deutschland GmbH
Fachartikel erschienen im VerbändeReport 04/2023
„Die Zukunft ist ungewiss.“ Diese Binsenweisheit kann unterschiedlich interpretiert werden: negativ durch diejenigen, die die Risiken fürchten. Positiv von denen, die zukünftige Chancen und Möglichkeiten nutzen wollen. Der aktuelle Zeitgeist hat das Verhalten von Teilnehmenden und Verbandsmitgliedern verändert und fordert den Verband heraus, sich weiterzuentwickeln. Dazu braucht es einen ganzheitlichen Ansatz zur kommunikativen Einbindung der Teilnehmenden und eine kluge Gestaltung interaktiver Angebote und Formate.
Es ist kein Geheimnis – die Welt ist vernetzter denn je: Milliarden von Menschen nutzen das Internet im Geschäfts- und Alltagsleben. Sie haben mit nur wenigen Fingertipps schneller als je zuvor Zugang zu der Welt um sie herum, sei es für die Arbeit, die Familie oder die Freizeit.
Diese vernetzte Welt hat dazu beigetragen, dass sich die Entfernung zwischen Menschen verringert und Prozesse beschleunigt haben. Sie hat aber auch dazu geführt, dass Menschen einer immensen Anzahl von Nachrichten und Angeboten ausgesetzt sind, die um ihre Aufmerksamkeit kämpfen.
Dieses Szenario ist hochrelevant für Organisationen und Marken, die mit ihrem Zielpublikum im Gespräch bleiben wollen und in einer sich verändernden Demografie eine starke Bindung mit neuen Zielgruppen aufbauen wollen.
Der Faktor Mensch in der Verbands-Kommunikation
Mit der Technologisierung sind Verbände in den privaten Bereich der Kunden eingedrungen, in ihre Chats, Social Media, ins Homeoffice, in ihre Telefone, Uhren und Tablets. Eine weitaus intimere Umgebung als je zuvor, in der andere Regeln und Auslöser gelten.
Verbände haben erkannt, dass sie, um erfolgreich zu sein, den Aspekt Mensch in den Fokus setzen müssen. Nicht nur in Bezug auf den Tonfall und die Kommunikationskanäle, sondern auch mit Blick auf attraktive, individualisierte Angebote und den Aufbau einer Omni-Channel-Strategie.
Die 3 Cs des Community Engagements: Choice, omni-Channel und Customization
Welche Erwartungen haben Mitglieder heute und mit Blick auf die Zukunft an Verbände? Mit dieser Frage befasst sich der Association Index 2022 (AEI) – eine globale Studie zur Zukunft der Verbände – und lässt basierend auf mehr als 12.700 Antworten von Verbandsmitgliedern und Kunden aus aller Welt einen klaren Schluss zu: Mitglieder wollen die Wahl. Es geht nicht mehr um die Frage „virtuell vs. persönlich“, es geht vielmehr darum, den richtigen Kanal für die richtige Aktivität zu finden und ein personalisiertes Erlebnis für Verbandsmitglieder und Kunden in ihrem Verband zu schaffen.1
So weit, so gut. Doch von Ausschusssitzungen über Arbeits- und Interessengruppen bis hin zur Verbandstagung, was bedeutet das für die klassischen Verbandsformate?
Teilnehmerzentrierte Verbandsformate
Der Innovationsverbund „Future Meeting Space“ des GCB, in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut, untersuchte bereits 2022 das sich wandelnde Ökosystem von Veranstaltungen. Das Ergebnis: Innovationen in den Bereichen Technologie, Klimaanpassung, Mobilität und Arbeitsflexibilität werden die Veranstaltungsbranche prägen und neue Trends setzen. Es wurden drei Szenarien entworfen, die mit unterschiedlichen Zielgruppenbedürfnissen einhergehen.
- „Tried and trusted – renaissance of the real“: eine Rückkehr zum Vertrauten und Bewährten, wobei Traditionen mit modernen Anforderungen in Einklang gebracht werden.
- „Diverse and flexible – the global community“: Fokus auf Vielfalt und Flexibilität. Veranstaltungen dienen als Experimentierfelder für Kreativität und globale Vernetzung.
- „Green and aware – the net zero society“: Betonung der Nachhaltigkeit mit aktiver Umweltverantwortung und Implementierung nachhaltigen Lebens.3
Verbandsveranstaltungen stehen damit vor der Herausforderung, diverse Erwartungen zu erfüllen und Mehrwerte auf verschiedenen Ebenen zu schaffen, damit Teilnehmende zu aktiven Beteiligten werden. Denn: Die aktive Partizipation an
Verbandskongressen bietet eine reiche Vielfalt an Erfahrungen, die weit über das passive Zuhören bei Vorträgen oder den Besuch von Ausstellungen hinausgeht.
Es gibt fünf Schlüsselbereiche, in denen aktive Partizipation besonders wichtig ist:
- Netzwerkaufbau: Tagungen sind der ideale Raum für Austausch und Kontaktpflege. Aktive Beiträge und der direkte Austausch vertiefen Beziehungen und eröffnen neue Kollaborationen.
- Wissensvertiefung: Aktive Themenbearbeitung fördert Verständnis und bringt neue Perspektiven.
- Einflussnahme: Aktive Teilnehmende gestalten die zukünftige Verbandsausrichtung mit.
- Kompetenzentwicklung: Diskussionen, Präsentationen und Workshops stärken Fachwissen, Selbstvertrauen und Teamfähigkeit.
- Personalisiertes Lernen: bietet maßgeschneiderte Erfahrungen und Inhalte, die den individuellen Bedürfnissen entsprechen.
Ein wichtiger Faktor ist die Bereitstellung von Freiräumen für berufliche und private Angelegenheiten während Veranstaltungen. Gerade heute, wo die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen und flexible Arbeitszeiten üblich sind, betonen Zukunftsforscher den „Flow“, in dem wir uns befinden. Dieser Flow bezieht sich auch auf den mobilen Zustand von Arbeiten, Reisen und Freizeitgestaltung: Er schafft eine neue Dynamik und eröffnet Menschen die Möglichkeit, Aktivitäten sinnvoll miteinander zu kombinieren. Im Umkehrschluss hängt die Reisebereitschaft von der individuellen Relevanz, Nachhaltigkeit und Vereinbarkeit ab.
Wo punkten Präsenz-, Hybrid- und Digitalformate?
Die Pandemie hat uns gezeigt, dass wir schnell auf andere, neue (digitale) Formate umswitchen können. Doch wie nachhaltig ist diese Form der Kommunikation wirklich? Betrachten wir an dieser Stelle zunächst die einzelnen Formate.
Präsenz-Veranstaltungen bieten wiederkehrende Möglichkeiten für ein hohes Maß an persönlichem Austausch und Networking. Sie fördern menschliche Beziehungen und schaffen Raum für spontane und aktive Diskussionen. Die inhaltliche Gestaltung ist ein weiterer wesentlicher Faktor und davon geprägt, wie interaktiv das Programm ist. Teilnehmende wollen heutzutage mitgestalten und erwarten interaktive Partizipationsmöglichkeiten. Zudem rückt die emotionale Gestaltung der Veranstaltung stark in den Mittelpunkt: Es gilt, den „Family-“ bzw. Community-Charakter des Verbands in das Veranstaltungskonzept zu integrieren. Teilnehmende suchen nicht nur nach Wissensvermittlung, die auch digital verfügbar ist, sondern streben ein besonderes, bereicherndes Erlebnis an, das kreatives Denken fördert und ihre aktive Beteiligung sicherstellt.
Hybrid ist nicht gleich hybrid. Das Konzept der hybriden Veranstaltung, eine Kombination aus Präsenz und digitalen Elementen, ist keine Einheitsgröße, sondern eine anpassbare Lösung entsprechend den Bedürfnissen und Zielen einer Organisation. Die Interaktion zwischen digitalen und physischen Komponenten kann stark variieren und das Konzept muss vor der Plattformauswahl stehen. Ohne dieses ist kein Erfolg möglich. In der Praxis zeigen sich die Bedeutung von Flexibilität und Individualisierung sowie eine zunehmende Dynamik in der Gestaltung. Präsenz-Veranstaltungen bieten einzigartige Möglichkeiten für Networking, die hybride Lösungen nicht immer kosteneffizient erreichen können. Dennoch hat sich das hybride Modell als effektiv für fachspezifische Weiterbildung erwiesen, insbesondere wenn die Teilnehmenden geografisch verstreut sind.
Digitale Veranstaltungen schließlich bieten zeitlich die größte Flexibilität und Zugänglichkeit. Sie ermöglichen die Teilnahme unabhängig vom Standort und reduzieren Reisekosten und Umweltauswirkungen. Sollte die Mehrheit der Mitglieder räumlich verstreut sein oder wenn es Einschränkungen gibt, die eine physische Veranstaltung erschweren, kann ein digitales Format nach wie vor die beste Wahl sein. Allerdings nicht, wenn es um Networking oder Vertrauensbildung geht, da beides im virtuellen Raum weniger gut funktioniert.
Henne oder Ei: Stellen wir uns noch die Format-Frage?
Das richtige Format zählt. Aber die Frage nach dem Format steht nicht mehr an erster Stelle. Die Kernkomponente aller Veranstaltungen – ob physisch, digital oder hybrid – ist die Interaktion zwischen den Teilnehmenden. Der Austausch von Gedanken, Ideen und Perspektiven dient nicht nur der Bereicherung des individuellen Wissens, sondern fördert auch den Aufbau von Netzwerken und Gemeinschaften. Aber diese Interaktion sollte nicht als einmalige Gelegenheit gesehen werden, die sich nur während der Veranstaltung selbst bietet.
Stattdessen sollte sie als fortlaufender Prozess betrachtet werden, der sich über das gesamte Jahr erstreckt. Die konstante Interaktion fördert das Engagement der Teilnehmenden und stärkt die Beziehung zwischen ihnen und der Organisation. Wir kommen also zurück auf die 3 Cs: Choice (Wahl), Omni-Channel (Mehrschichtigkeit) und Customization (Individualisierung). Mitglieder wollen die Wahl, sie wollen über verschiedene Kanäle partizipieren und persönlich relevante Erfahrungen machen.
In diesem Sinne sollten die Verbände einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen, der sich über das gesamte Jahr zieht und auf Interaktion und Austausch ausgerichtet ist. Nur so können sie das volle Potenzial ihrer Veranstaltungen ausschöpfen und eine stärkere Bindung zwischen den Mitgliedern und dem Verband aufbauen. Es ist die Qualität dieser kontinuierlichen Interaktion, die letztendlich den Erfolg einer Veranstaltung und die Zufriedenheit der Teilnehmenden bestimmt.
Agile Verbandsstruktur: Structure follows Need
In der Vergangenheit gab es oft getrennte Bereiche innerhalb der Verbandsstrukturen: Veranstaltungsorganisation, fachliche Programmgestaltung sowie Marketing arbeiteten häufig autark. Heute jedoch beobachten wir eine zunehmende Verschmelzung dieser Bereiche. Es wird immer mehr darauf hingearbeitet, die drei Bereiche unter eine einheitliche Führung zu stellen. Der Grund dafür ist, dass sie immer stärker ineinandergreifen. Eine integrierte Führung bietet daher eine holistische Lösung in der strategischen Entwicklung eines Verbandes.
Dieser Wandel hin zur Verschmelzung der Kernbereiche in Verbänden ist ein direktes Ergebnis des sich verändernden Verhaltens der Teilnehmenden: Sie sind aktiv, bleiben auch im Privatleben über soziale Netzwerke im Dialog mit den Verbänden – wir sehen beispielsweise hohe Beteiligungen in sozialen Netzwerken am Donnerstagabend oder Sonntagmorgen. Sie werden zu Fans, Followern und sogar zu Influencern, die rund um die Uhr offen und transparent kommunizieren und diskutieren.
Verbandstagung reloaded: Partizipation und Engagement
Die Neugestaltung von Verbandstagungen fordert die bereits erwähnte Dynamik, die weit über das Gewöhnliche hinausgeht, und setzt im Kern auf Partizipation und Engagement. Die emotionale Einbindung, der interaktive Austausch und die aktive Beteiligung sind heute mehr denn je erforderlich, um die Tradition der Tagungen neu zu beleben und sie für die moderne Welt relevant zu machen.
In diesem neuen Paradigma sind die Teilnehmenden nicht nur Zuschauende, sondern Akteure, die die Inhalte und Diskussionen mitgestalten. Alle weiteren Stakeholder (Referent:innen, Industriebeteiligte und Sponsoren sowie die Organisation selbst) sind nicht länger getrennte Entitäten, sondern Teil eines interaktiven Netzwerkes, das für alle offen ist. Moderne Technologien ermöglichen neue Formen der Zusammenarbeit. Innovative Lösungen in der Planung und Durchführung der Tagungen steigern den Gesamtwert. Bereits in der Vorbereitung sollten Teilnehmende Einfluss auf die Themen und das Agenda Building nehmen können.
„Verbandstagung reloaded“ ist somit nicht nur ein Schlagwort, sondern eine Mission, die Verbandstagungen zu einem zentralen Ort des Dialogs, der Innovation und der Gemeinschaft macht.
Expertisen in der Komplexität der Anforderung sind gefragt
In der komplexen und dynamischen Landschaft der Verbandsarbeit wird eine klare Strategie und Roadmap immer wichtiger. Verbände befinden sich an verschiedenen Punkten ihrer Transformation und stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen – von der Anpassung an digitale Trends bis hin zur Ansprache der jüngeren Generation. Viele Themen stecken in den Kinderschuhen, die nur gemeinsam erarbeitet werden können. Die intellektuellen Herausforderungen wachsen mit neuen Themen.
In dieser sich ständig verändernden Umgebung ist der Zugang zu Fachwissen entscheidend. Die Einbindung relevanter Expertisen kann helfen, Komplexität zu bewältigen und strategische Pläne zu entwickeln, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Ziele des Verbandes zugeschnitten sind.
Ein kollaborativer Ansatz ist dabei von zentraler Bedeutung. Indem Verbände ihre Mitglieder, Partner und Stakeholder in den Planungs- und Entscheidungsprozess einbeziehen, können sie ihre Relevanz erhöhen, ihren Einfluss ausweiten und wirkungsvolle Lösungen entwickeln.
Die Zeit ist gekommen, alte Muster aufzubrechen
In der sich stetig verändernden Welt der Verbandsarbeit ist eine klare Strategie unerlässlich. Alte Muster müssen aufgebrochen werden, um den wandelnden Bedürfnissen und Erwartungen gerecht zu werden – auch bei Verbandstagungen, die neu gedacht werden müssen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Fähigkeit, sich den verändernden Faktoren agil anzupassen und die Zielgruppen klar in den Fokus zu rücken. Das fordert auch eine stärkere Zusammenarbeit der einzelnen Verbandsabteilungen.
Verbände müssen Weitblick, Zusammenarbeit und Mut zur Veränderung zeigen. Der Zugang zu Fachwissen und die richtige Methodik sind dabei entscheidend. Traditionen dürfen nicht vergessen werden, aber der Weg in die Zukunft erfordert eine kluge Analyse, ein strategisches Konzept und die Investition in relevante Strukturen und Kompetenzen.
Es sollte das Ziel eines jeden Verbandes sein, den Mitgliedern immer einen kleinen Schritt voraus zu sein, um langfristig Mehrwerte zu bieten und attraktiv zu bleiben.
Quellen
1 Association Engagement Index 2022, MCI Group
2 MCI Group
3 Trendszenarien für das neue Ökosystem von Veranstaltungen 2022, GCB
4 MCI Group
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